Donnerstag, 22. Januar 2009

Sturz in die Ewigkeit


Eine Science-Fiction Kurzgeschichte, basierend auf 'Sturz in den Mahlstrom' von Edgar Allan Poe.



A singular change, too, had come over the heavens. Around in every direction it was still as black as pitch, but nearly overhead there burst out, all at once, a circular rift of clear sky - as clear as I ever saw - and of a deep bright blue - and through it there blazed forth the full moon with a lustre that I never before knew her to wear. She lit up every thing about us with the greatest distinctness - but, oh God, what a scene it was to light up!
EDGAR ALLAN POE


Die kleine Raumstation inmitten des interstellaren Nichts und abseits aller Handelsrouten wurde alleine von ihrem Eigentümer bewohnt, einem scheinbar alten Mann, der nicht oft Gäste beherbergte. Nur ein Zufall brachte mich dorthin. Wir standen schweigend nebeneinander an einem Außenfenster und beobachteten ein seltsames Leuchten, einen geraden, blauen Blitz, der regelmäßig etwas nach links und rechts schwankte, wobei der Ursprungspunkt fix blieb, und der wie Nebel in einem Lichtkegel, nur langsamer, flackerte. Seit etwa einer Stunde war er zu sehen, ein für den leeren Raum durchaus unübliches Verhalten.
"Das sieht aus wie ein Jet, aber wenn es einer ist, dann ein sehr kleiner, denn man kann beobachten, wie er entstand und nun langsam Form und Richtung ändert. Und wenn er sehr klein ist, dann ist er uns folglich sehr nahe" brach ich endlich das Schweigen.
"Das stimmt, es ist ein nur ein paar tausend Kilometer langer Jet", antwortete der alte Mann traurig, "er wird ausgestoßen von einem primordialen Schwarzen Loch, einem Gebilde vom Anbeginn der Zeit. Aber keine Angst, wir sind in sicherer Entfernung und der Strahl kann sich nur innerhalb eines kleinen Bereiches von wenigen Grad bewegen. Uns droht also hier keine Gefahr. Dieses Schwarze Loch ist der Grund, dass ich mich auf dieser Station niedergelassen habe, unsere gemeinsame Geschichte macht es mir unmöglich, hinaus in die Welt zurückzukehren. Die Station ist ein Leuchtturm, welcher vor dem Ungetüm dort warnt."
Bei dem Ausdruck 'primordiales Schwarzen Loch' zuckte ich zusammen, wie es jedem ergeht, der weiß, was sich dahinter verbirgt, denn diese Dinge sind, obwohl vielleicht häufig, schwer auffindbar, kaum erforscht und, wie Schwarze Löcher allgemein, extrem gefährlich. Und es sind die ältest noch existenten Objekte, so alt wie das Universum selbst. Kommt man ihnen zu Nahe, kann keine Macht der Welt einen mehr retten. In ihnen erlöscht sogar die Zeit. Ich bat den alten Mann, seine Geschichte zu erzählen.

"Meine beiden Brüder und ich, wir arbeiteten im harten, aber einträglichen Gewerbe der Ausbeutung von interstellaren Asteroiden. Dank unseres Wagemutes hatten wir es schon zu einigem Reichtum gebracht und konnten uns daher ein größeres, besseres Raumschiff leisten, welches uns zu lohnenderen Schürfplätzen bringen sollte, wo wir die edleren Metalle und selteneren Isotope zu finden hofften. Wir besorgten uns Raumkarten von wenig erforschten Gebieten, markierten dort ein paar interessante Stellen und machten uns dann einfach zur vielversprechendsten auf. Und dort - hier - landeten wir gleich einen Volltreffer. Wir fanden dieses Schwarze Loch, welches in den Karten als Navigationshindernis verzeichnet war, ein Monster von nur wenigen Millimetern Größe, aber der Masse eines Planeten. Und umkreist wurde es von einem Schwarm von Asteroiden, die größten von diesen ein paar hundert Meter lang. Die Anzeigen an unserem Spezialraumschiff, welche dazu gebaut waren, uns zu den Schätzen zu leiten, schlugen wie wild aus. Diese Asteroiden bestanden alle zu einem guten Teil aus Eisen, mit zahlreichen Einschlüssen schwererer Elemente, welche uns unglaublich reich machen könnten, würde uns der Abbau gelingen. Und daran zweifelten wir nicht, wir kannten die Gefahr, aber wir konnten sie einschätzen.
Ein 50-Meter-Asteroid, der sich in einem weiten, sehr runden Orbit um das Schwarze Loch befand, war unser erstes Ziel. Das Raumschiff blieb unbemannt, es konnte auf sich selber aufpassen, aber für eine Landung auf einem Asteroiden war es nicht geschaffen. Wir koppelten also unsere Landungsfähre vom Raumschiff ab und setzten nach kurzem Flug auf dem Ziel auf. Der Metalldetektor meldete einige Zinkadern in dem harten Gestein. Nun ist Zink nicht sonderlich lohnend, aber dieses war stark durchsetzt mit Indium und das erzielt auf dem freien Markt schon ziemlich beachtliche Preise. Wir verhütteten also einige Tonnen Zinkerz (das macht eine Maschine automatisch und ziemlich schnell) und gewannen so viele Kilogramm allerbesten Indiums. Eine gute Ausbeute für zwei Tage, mit der wir in unser Raumschiff, welches im Gegensatz zur Landungsfähre alle erdenkbaren Annehmlichkeiten hatte, zurückkehrten."

Der Jet, den wir während des Gespräches beobachteten, wurde schon seit einer Weile langsam schwächer, um nun zu verblassen. "Ein Felsbrocken, kein besonders großer, kam kürzlich in unmittelbare Nähe des Schwarzen Loches, wurde dort zerrissen und eingesaugt." erklärte mein Gastgeber. "Kurz bevor die Brösel hinter dem Ereignishorizont verschwinden, verdampfen sie und sehr wenig, unvorstellbar heiße Materie wird an den Polen des Schwarzen Loches wieder in den Raum geblasen. Das erzeugt einen Jet. Der jetzige hielt nicht lange an, weil der verschluckte Asteroid nur klein war. So etwas kommt hier häufig vor. Aber zurück zu unserer Geschichte.
Meine Brüder und ich waren für das Erste zufrieden, wollten aber bald mehr. Nach ein paar Tagen Erholung hatten wir uns einen anderen, größeren, interessanteren Asteroiden auserkoren. Dieser war näher am Schwarzen Loch, aber immer noch in sicherer Entfernung, auch wenn er eine deutlich elliptischere Bahn hatte. Eine erste Analyse ergab, dass er ungewöhnlich schwer für seine Größe war, was Hoffnung auf wertvolle Metalle in großer Menge weckte. Er war etwa 150 Meter lang, 80 breit, 70 tief und geformt wie eine Kartoffel mit rauer Schale.
Der Flug dorthin dauerte etwas länger und so hatten wir Zeit, die Umgebung des Schwarzen Loches näher zu betrachten. Sie war allerdings, so wie jetzt wieder, ruhig, fast langweilig und wiegte uns daher in trügerischer Sicherheit. Wir setzten mit unserer Fähre auf, verankerten sie im harten Boden und schlüpften in unsere Raumanzüge. Dies waren natürlich besonders strahlengeschützte Anzüge, mit speziellen Fußhalterungen, um nicht von der Kartoffel, wie wir den Asteroiden jetzt liebevoll nannten, zu fallen. Und wir hatten, zur Sicherheit, Raketengurte, die uns im Notfall vielleicht auch ohne Fähre zu unserem Raumschiff zurückbringen konnten. Das Laufen in so einem Anzug ist schwierig und anstrengend, aber weit laufen mussten wir ja nicht.
Kaum aus der Fähre ausgestiegen, setzten wir unseren Metalldetektor auf und warteten angespannt auf die Ergebnisse. Währenddessen wurde das Schwarze Loch aktiv. Ein Jet, so wie wir beide ihn gerade eben sahen, nur viel stärker, schoss hervor und hüllte die verkraterte, schroffe Landschaft in ein gespenstisches blaues Licht. Geisterhafte Gestalten schienen um uns herum zu zittern und zu erbeben, die Schatten von scharfkantigen, zerklüfteten Felsen. Die bizarre Szenerie hätte uns Angst machen können, hätten wir nicht genau gewusst, dass uns keine Gefahr von dem Jet drohte. Er konnte uns nicht erreichen und die Ergebnisse des Detektors ließen uns nun alles andere vergessen. Direkt unter uns befand sich eine Platinader, mit all jenen verwandten Metallen, die sich so gerne mit dem Platin vermischen und die von unschätzbarem Wert sind: Iridium, Palladium, Ruthenium, Rhodium und sogar das wertvollste und seltenste von allen, Osmium. Und das scheinbar in einer Menge, dass wir uns von dem Verkauf einen eigenen Planeten würden leisten können. Wir waren alle drei sehr angespannt, aber zum Jubel blieb keine Zeit. Mein jüngerer Bruder schritt die Ader ab und kam auf eine Länge von vierzehn Metern, nicht tief unter der Oberfläche und fast einen Meter im Durchmesser!

In dem Moment, als er uns das mitteilte, geschah, was nie hätte passieren dürfen und auch nicht passieren hätte können, wenn wir etwas mehr um unsere Sicherheit bedacht gewesen wären. Der Jet strahlte heller als je zuvor, denn das Schwarze Loch schlug sich den Bauch voll, alles um uns herum leuchtete in blau waberndem Licht. Aber dies hatte, so bin ich überzeugt, nichts mit dem Grund unseres Untergangs zu tun. Denn ein anderer großer Asteroid, deren Bahn wir anscheinend falsch berechnet und für gefahrlos erachtet hatten, streifte leicht den unseren. Es musste ein Zufall gewesen sein, dass dies gleich nach dem Erstarken des Jets geschah.
Der Ruck war gewaltig, unser Asteroid bekam einen Drall und eine andere Bahn, ebenso wie der andere vermutlich. Ich fiel mit dem Rücken zu Boden, meine Füße blieben jedoch befestigt. Auch mein älterer Bruder wurde wohl umgestoßen, obwohl ich es nicht sehen konnte. Mein jüngerer Bruder aber, der von uns entfernt und noch nicht wieder mit beiden Beinen am Boden war, wurde von dem vermeintlich sicheren Felsbrocken weggeschleudert, genau in die Richtung des Ursprunges des blauen Jets, viel zu schnell für eine Rettung durch seinen Raketenrucksack. Ich wollte mir nicht ausmalen, was er während seines Stunden dauernden Sturzes in die Ewigkeit empfand und was schließlich mit ihm geschah und ich will es auch jetzt nicht. Unser Kommunikationssystem wurde dankenswerterweise durch die Katastrophe zerstört und so musste ich nichts hören.
Mein älterer Bruder sah mich entsetzt an und ich ebenso zurück. Zur Trauer war aber keine Zeit, wir mussten zuerst unsere eigene Haut retten. Der nächste Schock war, dass ein durch den Aufprall abgesprengter Fels das Triebwerk unserer Fähre zerschmettert hatte, auf diesem Weg gab es also kein Entkommen mehr. Und nun realisierten wir, welche neue Bahn unser Asteroid eingeschlagen hatte: elliptischer, näher zu dem Schwarzen Loch hin und auch wieder weiter von ihm weg, wenn er die Annäherung überstehen würde. Dazu rotierte er noch in einer schiefen Achse um sich selber und hätte uns ohne unsere Fußhalterungen, wie unseren Bruder, sicherlich in den Raum geschleudert. Verzweifelt hielten wir uns an dem schroffen, metallischen Fels fest, der so wertvoll war, aber nun, so waren wir uns inzwischen sicher, unser Grab werden würde. Mit den Raketenrucksäcken etwas gegen die Gewalt der neuen Bahn ausrichten zu wollen erschien aussichtslos. Bei jeder Umdrehung des taumelnden Asteroiden, etwa jede halbe Minute, konnten wir den blauen Jet in das schwarze All strahlen sehen. Vielleicht würde der uns ja grillen, bevor uns das Schwarze Loch zerriss, denn wohin uns die Bahn jetzt führen würde, war nicht abzuschätzen, möglicherweise geradewegs in das blaue Leuchten hinein. Stunden hilfloser Angst vergingen, sinnloses Festklammern war alles, zu dem wir im Stande waren. Dass wir den Jet doch nicht kreuzen würden, wie nach einiger Zeit klar wurde, war kein Trost.

Obwohl sich an unserer Lage nichts geändert hatte, versuchte mein Bruder sehr plötzlich, mit Gesten seiner linken Hand, denn mit der Rechten hielt er sich fest, mir etwas mitzuteilen. Ich wusste nicht, was er mir sagen wollte und ob es vernünftig oder wahnsinnig war, aber ich muss gestehen, es war mir egal, da ich damit beschäftigt war, mir meine letzten Minuten auszumalen und wenn es schon unabänderlich war, die Einmaligkeit meiner Situation zu genießen. Nicht viele Menschen hatten je so etwas von Nahem gesehen und keiner konnte davon berichten. Der Jet rotierte und schrieb einen leuchtend blauen Kegel in das All, der minütlich zweimal über meinen Kopf zog und dabei immer ein wenig größer wurde. Kleine Blitze durchzuckten den Himmel jetzt, die kleineren Asteroiden des inneren Teiles des das Schwarze Loch umgebenden Ringes. Manche stießen zusammen und explodierten in einem gelben Funkenball. All jene mythologischen Konzepte des Weltenendes, Armageddon, Ragnarök, waren nichts gegen meinen Logenplatz der Vernichtung. Immer wieder wurde unser Fels durchgeschüttelt von Einschlägen kleiner Trümmer, von denen auch einer uns ein vorzeitiges Ende hätte bringen können. Was ich wirklich bedauert hätte, ich wollte den Ritt jetzt unbedingt bis zum Ende mitmachen.
Mein älterer Bruder holte mich mit einem Tritt ins Leben zurück. Er deutete auf seinen Rucksack und da wusste ich, was er vorhatte. Ich versuchte nicht, ihn zurückzuhalten, obwohl ich seinen Plan für aussichtslos hielt. Er wählte einen scheinbar günstigen Punkt in der Bahn aus, löste seine Halterungen und zündete alle Raketen auf seinem Rücken. Genau als das Schwarze Loch gegenüber war, schoss er wie ein (leicht gekrümmter) Blitz davon und ich habe ihn nie wieder gesehen. Erst später fiel mir auf, worin sein Fehler lag. Zum einen mussten wir uns schon fast am nahen Scheitel der Ellipse befunden haben, viel zu spät für einen Fluchtversuch, weil viel zu nahe an dem Schwarzen Loch. Zum anderen besaß er als Impuls ja nicht nur den Schub seiner Raketen, sondern auch jenen des Asteroiden, der ja auch noch einen Drall hatte. Die Bahn meines Bruders muss eine Parabel gewesen sein, die ihn genau zu dem Punkt führte, dem er zu entkommen versuchte. Manchmal bilde ich mir ein, ich hätte ihn noch, gezerrt zu einem endlosen Spaghetti, in das Loch stürzen sehen, obwohl das unmöglich ist. Aber dies verfolgt mich bis heute in meinen Träumen.
Ich blieb auf meinem Fels, meiner Kartoffel, wie mir wieder einfiel und entgegen aller Logik und Schmerz musste ich lächeln. Tun konnte ich ohnehin nichts mehr, die Vorstellung war fast vorbei. Und dann, ich weiß nicht nach wie langer Zeit in Todesangst, hatte der Asteroid den Scheitelpunkt der Ellipse überwunden und wir waren nicht zerrissen worden, obwohl es mir an diesem Punkt stärker als an allen anderen den Magen umdrehte. Meine Wahrnehmung verzerrte sich, hier erschien der Raum wirklich gekrümmt, der blaue Strahl wurde vor meinen Augen zu einer sich windenden Schlange. Und dann merkte ich, dass der Asteroid in der Mitte zerbrochen war. Zwei fast gleich große, jetzt rundere Kartoffeln eierten parallel zueinander und umeinander weg von dem blauen Inferno. Die Rotation meines Bruchstückes war langsamer geworden, eingegangen in die gemeinsame Rotation der beiden Brocken. Erleichterung verschaffte mir das keine, denn es zögerte ja doch nur das unaufhaltsame Ende heraus, wie ich meinte. Ich wusste, dass der Asteroid nur wenige Umrundungen auf dieser Bahn überstehen könnte, bevor er völlig zerrissen und vom Schwarzen Loch verschluckt würde. Was für ein Tag für das primordiale Monster, so viel zu fressen hatte es sicher schon lange nicht mehr bekommen. Ob wohl jener Jet noch schöner würde als dieser, der jetzt langsam hinter mir verblasste? So waren meine Gedanken, mich holte wohl jetzt, in der ruhigeren Flugphase, der Wahnsinn ein, der vorher im Chaos hinterher blieb. Aber der Wahnsinn war nur vorübergehend und machte dann wieder der verzweifelten, unbegründeten Hoffnung platz.

Was war der letzte Einfall meines Bruders? Am Scheitelpunkt zu entkommen. Ein guter Gedanke, aber bei ihm war es der falsche Scheitelpunkt. Ein normalerweise leicht vermeidbarer Fehler, der jedem sofort auffällt, es sei denn, man befindet sich in einer Lage wie der unsrigen. Nun aber, auf dem Weg von der Gefahr weg und nicht mehr in einer dem Denken abträglichen Rotationsgeschwindigkeit, war mir klar, worin meine einzige, kleine Chance bestand. Die Raketen mussten kurz vor dem Erreichen des entfernteren Scheitels gezündet werden, wenn die Geschwindigkeit vom Schwarzen Loch weg noch groß genug war, die Entfernung zu ihm so weit als möglich und die Rotationsphase so, dass meine Lage in aufrechter Stellung sich parallel zur Flugbahn befand, so dass es mich exakt gerade herausschießen würde, genau vom Schwarzen Loch weg. Und dann musste noch der Weg frei sein, die andere Hälfte des ursprünglichen Körpers und die ganzen anderen Brocken mussten woanders als in meiner Bahn sein. Ein Punkt, den zu verpassen nur allzu leicht war, wenn es ihn denn überhaupt gab. Aber, daraus, dass ich jetzt hier bin und diese Geschichte erzähle, haben Sie es schon selber geschlossen, es gelang mir. Die Raketen zündeten und ich flog davon, tatsächlich in der geplanten geraden Bahn, weg von dem Monster, von dem ich mir in diesem Moment ausmalte, wie es mir enttäuscht hinterher blickte. Der Rest war einfach, denn mein Raumanzug war ausgestattet mit einem Notrufsignal, welches, nun aktiviert, das Raumschiff sich selbst an einen sicheren Ort auf meiner Flugbahn manövrieren ließ. Über zwei Stunden schwebte ich noch einsam und scheinbar ruhig, tatsächlich aber rasend schnell durch das All. Von dieser Zeit weiß ich aber nichts mehr. Das Raumschiff fing mich sanft auf, es hatte Geräte für solche Zwecke an Bord. Mein Asteroid, so berichtete später der Bordcomputer, der alles aufgezeichnet hatte, überlebte tatsächlich die nächste Umrundung nicht mehr, er wurde in winzige Teile zerrissen und erzeugte dann den nächsten großen Jet.
Ich verkaufte die Ausbeute unserer ersten Tour, holte all unsere Ersparnisse und ließ das Raumschiff in diese Station umbauen, wo ich nun seit drei Jahren und bis an mein Ende das primordiale Schwarzen Loch umkreisen werde. Manchmal kommen Gäste und manchen erzähle ich meine Geschichte. Nicht viele glauben mir."

Dienstag, 13. Januar 2009

Langsam Bloggen


Im Folgenden eine Übersetzung des Slow Blogging Manifesto von Todd Sieling. Für Hinweise zur Verbesserung der Übersetzung sowie das Auffinden von Fehlern bin ich dankbar.

________________________

Manifest

1

Langsames Bloggen ist eine Absage an die Unmittelbarkeit. Es ist eine Bekundung, dass nicht alles Lesenswerte schnell geschrieben wurde und dass viele Gedanken am besten erst dann serviert werden, nachdem sie ganz durchgebacken sind und in einem ausgeglichenen Zustand formuliert wurden.

2

Langsames Bloggen heißt, mit Bedeutung zu sprechen, als ob die Pixel, die den Worten Form geben, wertvoll und selten seien. Es ist die Bereitwilligkeit, aktuelle Ereignisse kommentarlos vorübergehen zu lassen. Es ist bedachtsam im Tempo und unterbricht seinen gemächlichen Schritt nicht für Dinge, die nicht wichtig sind. Und vielleicht nicht einmal dann, denn die Geschwindigkeit des Ernstfalles ist meistens nicht langsam und die Orte, welche von beruhigendem Tempo regiert werden, dienen uns dann am besten.

3

Langsames Bloggen ist eine Umkehrung des Zerfalles in Einzeiler und verkürzte Phrasen, die oft nur die Frühstadien unserer besten Ideen sind. Es ist ein Prozess, in welchem Gedankenblitze aufleuchten und verblassen, um dann ihren Platz im Hintergrund von etwas Größerem zu finden. Langsames Bloggen schreibt keine Gedanken in das ätherische und ewige Pergament, bevor sie nicht einen andauernden Wert im Gebäude unserer Ideen erlangt haben.

4

Langsames Bloggen ist die Bereitschaft, stumm zu bleiben bei den täglichen Entrüstungen und Begeisterungen, die nur einzelne Momente der Zeit ausfüllen, welche zwischen Banalitäten herspringen, Herzschmerz und psychotische Weltuntergangsfröhlichkeit in einen kleinen Raum zwischen den Schlagzeilen pressen. Das, was du in einem bestimmten Moment letzte Woche hättest sagen wollen, kann auch noch nächsten Monat oder nächstes Jahr gesagt werden und du wirst nur umso gewitzter erscheinen.

5

Langsames Bloggen ist eine Antwort auf den und Ablehnung des Pagerank. Pagerank, jenes hübschhässliche Monster, welches hinter den vielen gefalteten Vorhängen von Google sitzt und die Frage nach Autorität und Relevanz zu deinen Suchen entscheidet. Blogge früh, blogge oft und Google wird dich belohnen. Konditioniere dein kreatives Selbst auf die geheime Frequenz und werde von Google geliebt; du wirst da erscheinen, wo jeder schaut – auf den ersten paar Suchergebnisseiten. Folge deinem eigenem Tempo und deine Arbeiten werden nie gefunden; verweigere Pagerank seine Wünsche und deine Arbeit verschwindet, wie von einer Rückströmung in die tiefen Wasser der undifferenzierten Ergebnisse geworfen. Sein verdrehtes Verständnis des Allgemeinwohls hat Pagerank zu einem beängstigenden Gegner der Allgemeinheit gemacht, er gibt ein Schritttempo vor, welches die Reflektion verbietet, die nötig ist, um vom Alltäglichen zum Vermächtnis zu werden.

6

Langsames Bloggen ist die Wiederherstellung der Maschine als Vermittler menschlichen Ausdrucks, statt seine Peitsche und Behälter. Es ist das freiwillige Anhalten des lichtschnellen Laufrades, welches in den Regeln des effektiven Bloggens vorgeschrieben wird. Es ist die Auferlegung asynchroner Temporalien, wo wir nicht schneller tippen, um mit dem Computer mitzukommen, wo das Tempo der Gestaltung nicht dem Konsumtempo entspricht, wo gute und schlechte Werke in ihrer eigenen Geschwindigkeit erschaffen werden.

________________________


Kommentar: Ich persönliche stimme dem Manifest in vielen, aber nicht allen Punkten zu. Texte, die länger auf kleiner Flamme geköchelt wurden, überarbeitet und überlegt wurden und etwas aussagen, schmecken besser als schnell hingerotzte Kriegserklärungen an Grammatik, Rechtschreibung und Inhalt. Allerdings halte ich den Pagerank für unschuldig, schlimmstenfalls für ein Symptom, nicht die Ursache. Die Ursache liegt wohl in den globalen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen unserer Umwelt. Und da geschehen Veränderungen meist nur im Kleinen. Und langsam.